Warum kaufen wir, wo wir kaufen?
Im hart umkämpften E-Commerce-Markt sind es nicht nur Produktvielfalt oder günstige Preise, die Plattformen wie Amazon, Zalando, Etsy und Temu an die Spitze treiben. Vielmehr greifen diese Unternehmen auf fundiertes Wissen über Psychologie und ausgeklügelte UX/UI-Designstrategien zurück, um das Kaufverhalten der Nutzer zu lenken, Vertrauen aufzubauen und langfristige Kundenbindung zu erreichen.
In diesem Artikel betrachten wir, wie diese Plattformen psychologische Prinzipien mit Design- und Usability-Techniken verknüpfen, um einzigartige Einkaufserlebnisse zu schaffen die uns dazu bewegen, immer wieder mit denselben Absichten zurück zu kehren.
Das psychologische Fundament: Vertrauen.
Erfolgreiches UX-Design im E-Commerce baut auf grundlegenden psychologischen Prinzipien auf, die tief in unserem menschlichen Verhalten verankert sind. Nur wenn diese Prinzipien erfüllt und befriedigt werden, nehmen wir einen Shop als seriös wahr und fühlen uns wohl.
In der digitalen Welt ist es vor allem das Vertrauen, welches das Nutzerverhalten massgeblich beeinflusst. Vertrauen wir einer Marke nicht oder erscheint uns ein Anbieter mit Angeboten als zu aufdringlich, können wir das Bedürfnis nach Sicherheit nicht befriedigen und werden diesen Shop eher meiden.
Die Macht der Konsistenz
Vertrautheit und Konsistenz sind zentrale Elemente eines erfolgreichen UX-Designs. Untersuchungen zeigen, dass ein einheitliches, wiedererkennbares Design das Vertrauen der Nutzer stärkt und die kognitive Belastung verringert. Wenn Benutzer auf eine konsistente und intuitive Benutzerführung stossen, können sie sich leichter orientieren und fühlen sich in der vertrauten «Comfort Zone».
Shops haben manchmal dieses für uns UX-Designer unverständliche Bedürfnis, zahlreiche Angebote, Kategorien, Navigationspunkte und Produkte auf einen Schlag präsentieren zu wollen. Hingegen müssen wir sagen: Je mehr Auswahl ein Benutzer hat, umso unglücklicher ist er! (Stichwort: Paradox of choice – oder kannst du dich zwischen den 100 Joghurt im Kühlregal schnell entscheiden?)
Es gibt zwei Gesetze, die beim designen für User Interface von grosser Bedeutung sind:
Das Hick’s Law sagt, dass die Entscheidungszeit mit der Anzahl der Optionen steigt (oder halt eben sinkt). Was bedeutet: Je weniger Auswahl, desto schneller die Entscheidung.
Das Fitt’s Law beschreibt, dass die Zeit, die benötigt wird, um ein Ziel zu erreichen, von zwei Faktoren abhängt: der Entfernung zum Ziel und dessen Grösse. Je weiter entfernt ein Ziel ist, desto mehr Zeit wird benötigt, um es zu erreichen, und je kleiner das Ziel ist, desto schwieriger und zeitaufwändiger wird es, es zu treffen oder anzuklicken.
Insbesondere bei den Call-to-Actions (CTAs), spielt das Fitt’s Law eine entscheidende Rolle. Im Kontext des Webdesigns besagt das Gesetz, dass grössere und näher platzierte interaktive Elemente, wie z.B. Buttons oder CTA, schneller und einfacher anzuklicken sind.
Transparenz und Sicherheit
Psychologisch gesehen ist Vertrauen der Schlüsselfaktor für Online-Einkäufe. Amazon und Zalando haben dies durch transparente Prozesse perfektioniert: Verlässliche Lieferzeiten, klare Rückgabebedingungen und umfangreiche Kundenbewertungen bieten den Nutzern ein hohes Mass an Sicherheit. Etsy bringt eine zusätzliche Dimension der Authentizität ins Spiel, indem die direkte Kommunikation zwischen Käufern und Verkäufern gefördert wird.
Der „human touch“ dieser Interaktion stärkt das Vertrauen in die Plattform und das Produkt. Temu baut ebenfalls Vertrauen auf, indem es durch aggressive Preistransparenz und einfache Rückgabebedingungen die Unsicherheit und das Misstrauen minimieren, die bei Low-Budget-Angeboten normalerweise entstehen.
Du findest es gut? Ich auch.
Wem vertrauen wir am meisten bei Kaufentscheidungen? Menschen, die diese Produkte besitzen und schon bewertet haben. Wir sind soziale Wesen und orientieren uns stark an den Meinungen und Handlungen anderer. Plattformen wie Amazon und Zalando nutzen dies, indem sie Produktbewertungen prominent platzieren und Funktionen wie „Kunden kauften auch“ einsetzen. Diese Mechanismen stützen sich auf den Mitläufer-Effekt, bei dem Menschen Entscheidungen auf der Grundlage der Masse treffen. Man könnte es auch «Gruppenzwang» nennen.
Etsy setzt ebenfalls auf Social Proof, jedoch mit einem stärker personalisierten Ansatz, indem es Geschichten und die Handwerkskunst hinter den Produkten betont. Temu verwendet Reviews und „Best-Seller“-Labels, um besonders begehrte Produkte hervorzuheben und damit die Kaufentscheidung zu erleichtern.
Mach schnell, dieses Produkt haben schon 100 Leute gekauft!
Um das Kaufverhalten weiter zu steuern, nutzen diese Plattformen, zum Teil auch fiese, psychologische Prinzipien wie Verknappung, Dringlichkeit und spielerische Elemente, die den Nutzer dazu motivieren, schneller eine Kaufentscheidung zu treffen.
Limitiert: Angebot für begrenzte Zeit. Jetzt oder nie! Mach schon! Kauf es!
Die Angst, etwas zu verpassen (FOMO – Fear of Missing Out), ist ein starker psychologischer Hebel. Amazon z.B nutzt „Blitzangebote“ und beschränkte Bestandsanzeigen, um Dringlichkeit zu erzeugen und Kaufentscheidungen zu beschleunigen. Zalando setzt ähnliche Methoden in der „Zalando Lounge“ ein, wo stark reduzierte Artikel nur für begrenzte Zeit verfügbar sind.
Dieses Phänomen basiert auf Cialdinis 6 Prinzipien: Eine davon ist unser stärkeres Verlangen danach Produkte zu besitzen, die entweder auf Stückzahl oder auf Zeitbegrenzung limitiert sind.
Schnappst du’s dir nicht, ist’s weg.
Dringlichkeitsmechanismen wie Countdown-Timer oder limitierte Stückzahlen werden strategisch eingesetzt, um den Nutzer zu einer schnelleren Entscheidung zu bewegen.
Diese Taktik erzeugt einen subtilen Druck, schnell zu handeln, bevor es zu spät ist. Doch wie bei jeder Taktik, muss auch diese sorgfältig eingesetzt werden. Zu viele exzessive Angebote können Nutzer abschrecken, indem die Verzweiflung als unseriös wahrgenommen wird. Dies wiederum resultiert darin, dass das Bedürfnis nach Vertrauen und Sicherheit nicht befriedigt werden kann und Benutzer somit abspringen.
Der Schlüssel zur Kundenbindung: Personalisierung.
Während psychologische Prinzipien das Kaufverhalten beeinflussen, sorgt das UX/UI-Design dafür, dass diese Prinzipien effektiv in der Benutzererfahrung verankert werden. Die Personalisierung ist hier ein entscheidender Faktor, der bei nahezu allen grossen Shops eingesetzt wird.
Personalisierte Empfehlungen: Du bist unser ganz besonderer Kunde!
Grössere Shops setzen fortschrittliche Algorithmen ein, um personalisierte Produktempfehlungen auf der Grundlage der früheren Käufe, Suchanfragen und Vorlieben der Nutzer zu generieren. Diese Form der Personalisierung schafft nicht nur Relevanz, sondern vermittelt den Nutzern auch das Gefühl, dass sie als Individuum wahrgenommen werden.
Wenn Nutzer massgeschneiderte Angebote erhalten, fühlen sie sich besonders und geschätzt – als ob die Plattform genau versteht, was sie brauchen und wollen. Dies stärkt die emotionale Bindung zur Marke und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Nutzer tatsächlich kauft. Etsy setzt auf ähnliche Techniken, jedoch mit einem stärkeren Fokus auf einzigartige und handgefertigte Produkte, die den Eindruck erwecken, speziell für den Käufer kuratiert worden zu sein. Temu nutzt ebenfalls personalisierte Angebote, die den Preisfokus der Nutzer aufgreifen und auf ihre Schnäppchenvorlieben eingehen, was die Kauflust weiter steigert.
Fazit
Der Erfolg von Amazon, Zalando, Etsy und Temu im Online-Handel liegt in der intelligenten Verknüpfung psychologischer Prinzipien mit durchdachtem UX/UI-Design. Sie verstehen die Mechanismen, die hinter den Entscheidungen der Nutzer stehen, und nutzen diese gezielt, um das Kaufverhalten zu steuern und Kunden langfristig zu binden. Vertrauen, soziale Bestätigung, Verknappung, Dringlichkeit und Gamification sind nur einige der psychologischen Werkzeuge, die sie in ihre Plattformen integriert haben, um ein optimales Einkaufserlebnis zu bieten.
Gleichzeitig schaffen durchdachte Designstrategien die Grundlage für eine Benutzererfahrung, die nicht nur angenehm, sondern auch effizient ist. Diese Aspekte aus Psychologie und Design führt zu Plattformen, die nicht nur verkaufen, sondern Erlebnisse schaffen, die Käufer immer wieder zurückkommen lassen.
So und damit bin ich raus, denn ich muss noch unbedingt bei Zalando die neue Herbstkollektion entdecken, die passend für mich ausgewählt wurde. 😉
Geschrieben von:
Marina Katic, UX- und Webdesignerin bei der raffiniert media AG
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